Donnerstag, 9. Juli 2020

Corona-bedingte Betriebsschließungen: Sind Versicherungen an Betriebspleiten schuld?

Corona-bedingte Betriebsschließungen und damit einhergehender Ertragsausfall haben viele Gewerbetreibende, Händler und Selbstständige an den Rand der Insolvenz gebracht. Aufgrund der Allgemeinverfügungen der Bundesländer auf Basis der Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts durften viele Betriebe nicht oder nur eingeschränkt öffnen. Wohl denen, die gegen dieses Risiko abgesichert sind, sollte man meinen. Leider hat sich dies als Trugschluss herausgestellt, viele Versicherungen verweigern nach wie vor die Leistung (wir berichteten "Betriebsschließung und Schadensersatz: Wollen sich Versicherungen drücken?")

Titel: Corona-bedingte Betriebsschließungen: Sind Versicherungen an Betriebspleiten schuld?


Wir erklären Ihnen ausführlich die rechtlichen Hintergründe und Probleme:
  • Wann sind Betriebsschließungen versichert
  • Was ist versichert
  • Wie lautet so eine Vertragsklausel
  • Warum bezahlen Versicherungen nicht
  • Darum müssen Versicherungen eigentlich bezahlen
  • Vergleichsangebote von Versicherungen


Wann sind Betriebsschließungen versichert


Eine Betriebsschließung muss in Ihrem Versicherungspaket versichert sein. Dies ist meist als Betriebsschließungsversicherung oder auch aus Ertragsausfallversicherung bezeichnet. Nur wenn diese Bausteine oder Gefahraspekte als Baustein eines Versicherungsbestandteiles im Versicherungsvertrag vereinbart sind, können Sie den Schaden bei Ihrer Versicherung melden. Dazu muss auch der Versicherungsbeitrag bezahlt sein. Wenn Sie Ihren Versicherungsschein nicht mehr finden, fordern Sie eine Kopie bei Ihrer Versicherung an. Die Aussagen sind oft verklausuliert und versteckt, weshalb bisweilen fachkundige Hilfe in Anspruch zu nehmen ist um den Umfang Ihrer Versicherung zu klären.

Weiter muss auch in Ihrem Vertrag die Pandemiebedingte Schließung nach Infektionsschutzgesetz (InfSG) versichert sein. Wichtig ist auch zu klären, wie lange Betriebsschließungen versichert sind.

Was ist versichert


Dazu blicken Sie bitte in Ihren Versicherungsvertrag. Die Ergo-Versicherung versichert laufende Kosten und erstattet entgangene Gewinne, auch Kosten für verdorbene Lebensmittel, Desinfektion und ggf. sogar Kosten für Imagewerbung. Hier kann der Versicherungsumfang erheblich variieren, weshalb in den Versicherungsschein zu schauen ist. Auf Aussagen Ihres Versicherungsmaklers hingegen können und dürfen Sie sich nicht verlassen.

Vertragsklausel


Wie eine solche Vertragsklausel lautet, kann man z.B. bei der Haftpflichtkasse https://www.haftpflichtkasse.de/export/sites/default/.downloads/Verbraucherinformationen/AVB-BSV.pdf nachlesen:

§ 1 Gegenstand der Versicherung, versicherte Gefahren1. VersicherungsumfangDer Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behördeaufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung vonInfektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG)beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2)a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt;
Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt;(...)2. Meldepflichtige Krankheiten und KrankheitserregerAuf Wunsch werde Auszüge zu den genannten Gesetzestexten zur Verfügung gestelltMeldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger:
a) KrankheitenListe Krankheiten, hier gekürztb) KrankheitserregerListe Krankheitserreger, hier gekürzt

Diese (gekürzte) Regelung ist wichtig zu kennen für die weiteren Ausführungen. Details sind hierbei je Versicherung unterschiedlich.

Vertragsklausel


Nun, man könnte sagen, das sind winkeladvokatische Züge, aber auch nachvollziehbar.
Der Versicherer leistet Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG1 ) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Nr. 2) a) den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebes oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt;

Die Versicherungen meinen hier, dass eine konkrete Schließung des konkreten Betriebes gefordert ist („wenn die Behörde … den Betrieb schließt“). Ein allgemeiner Lockdown soll hierunter nicht fallen, zumal teilweise ja Betriebsteile offen bleiben durften (Gastronom, der Heimservice anbietet, aber nicht das Restaurant bedienen darf, Händler, der Nahrungsmittel aber keine sonstigen Artikel verkaufen darf, Bäckerei das nur den Cafe-Bereich schließt). Diese Auffassung ist abzulehnen. Denn der Sinn der Versicherung ist eine Absicherung gegen jede Schließung auf behördliche Veranlassung zur Krankheitsbekämpfung, so dass auch Allgemeinverfügungen und –Verordnungen hierunter zählen. Damit ist die Anordnung eines Gesundheitsministeriums eben auch eine Schließung durch die zuständige Behörde (so auch der ehemalige Richter am Oberlandesgericht München Seitz in seinen Bewertungen (https://www.versicherungsbote.de/id/4893741/Betriebsschliessungsversicherung-Rechtsgutachten-Corona/)

Zudem verweist ja auch die Versicherungsbedingung auf das Infektionsschutzgesetz, das wiederum auf Epidemien und Pandemien verweist. Damit ist klar, dass auch solche – im übrigen vorhersehbaren – Pandemien neuer oder mutierter Viren und Krankheiten versichert sein müssen, da der Bezug auf das InfSG sonst keinen Sinn machen würde.

Das weitere Argument ist, dass die Liste der Krankheiten und Krankheitserregern in den Versicherungsbedingungen den neuen Virus Covid 19 / Corona SARS nicht genannt hat. Dies ist regelmäßig bei neuen Viren und Krankheiten der Fall. Sind diese daher nie versichert? Argumentiert wird hier, dass nur das, was auch in den Bedingungen aufgeführt ist, versichert sein kann. Corvid ist erst 2020 durch das Bundesgesundheitsministerium als meldepflichtige Krankheit deklariert worden. Deshalb kann dies nicht versichert sein in alten Verträgen (und damit bei Covid 19 nie zu Versicherungsleistungen führen).

Dabei kommt es wieder darauf an, ob die Versicherungsbedingungen hier eine deutliche Klausel enthalten, dass nicht genannte Krankheiten nicht versichert sind. Die oben beispielsweise aufgeführten Bedingungen haben keine solche deutliche Aussage enthalten. Stattdessen ist der Verweis auf das INfSG relevant:

Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger 1 Auf Wunsch werde Auszüge zu den genannten Gesetzestexten zur Verfügung gestellt Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger.

Insbesondere weil geschrieben und bezuggenommen wird auf die im Infektionsschutzgesetz genannten Krankheiten ist die Klausel daher variabel und anpassbar auf Änderungen, soweit diese im Infektionsschutzgesetz erfolgt sind.

Nunmehr steht in §6 der Meldepflichtigen Krankheiten im InfSG unter Absatz 1 Nr. 1 t: „Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19)“. Damit wäre bereits jetzt die Krankheit aufgenommen. Die Versicherung würde dann aber argumentieren, dass dies erst nach dem Versicherungsfall eintrat und daher keine Leistung eintreten kann. Dies ist falsch. Denn §6 Abs. 3 Nr. 3 des InfSG hat auch hierfür einen Auffangtatbestand:

„(3) Nichtnamentlich ist das Auftreten von zwei oder mehr nosokomialen Infektionen zu melden, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahrscheinlich ist oder vermutet wird. Die Meldung nach Satz 1 hat gemäß § 8 Absatz 1 Nummer 1, 3 oder 5, § 10 Absatz 1 zu erfolgen“

Dasselbe ergibt sich aus § 7 InfSG:


„2) Namentlich sind in Bezug auf Infektionen und Kolonisationen Nachweise von in dieser Vorschrift nicht genannten Krankheitserregern zu melden, wenn unter Berücksichtigung der Art der Krankheitserreger und der Häufigkeit ihres Nachweises Hinweise auf eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit bestehen. Die Meldung nach Satz 1 hat gemäß § 8 Absatz 1 Nummer 2, 3 oder Absatz 4, § 9 Absatz 2, 3 Satz 1 oder 3 zu erfolgen.“

Wenn wesensgleiche Krankheitserreger gemeldet werden müssen, auch wenn sie nicht im Gesetz stehen, dann gilt dies auch für die Versicherungen, die diese §§6 III, 7 Abs. 2 InfSG nicht ausschließen. Daher führt dieser pauschale und uneingeschränkte Verweis auf §7 InfSG dazu, dass ein dynamischer Versicherungsschutz eingetreten kann. Mehrdeutige Auslegungsregeln gehen jedenfalls immer zu Lasten der Versicherung. Auszulegen ist es insbesondere so, wie es der durchschnittliche Versicherungsnehmer verstehen würde, nicht wie es für die Versicherungswirtschaft von Nutzen ist.

Das Landgericht Mannheim hat in seinem von uns bereits besprochenen Beschluss zudem auch faktische Betriebsschließungen umfasst: Nur weil Teile des Betriebes laufen dürfen, liegt dann trotzdem eine Schließung vor, wenn der überwiegende Teil nicht betrieben werden kann.
Klagen gegen Auslegungen der Versicherungsbedingungen sind daher nach jetzigem Rechtsstand sehr erfolgsversprechend und sollten erwogen werden.

Darum müssten Versicherungen zahlen:
Abgesichert ist das Pandemie-Risiko; es kommt nicht darauf an, ob das örtliche Gesundheitsamt oder das Gesundheitsministerium den Betrieb für ein Unternehmen oder für alle untersagt. Auch bei einem Großbrand käme man nicht auf die Idee zu sagen, dass die Brandschutzversicherung davon ausging, dass nur ein Haus abbrennt. Genau so sind Pandemien eben nicht planbar. Zynisch wäre zudem das Ergebnis, dass man damit Quasi eine Versicherung hat, die beinahe nie Eintritt. Auf die namentliche Nennung von Covid-19 kommt es daher nur dann an, wenn in Ihrem Vertrag nicht genannte Risiken explicit und verständlich ausgeschlossen sind. Alle anderen Klauseln dürften überwiegend unzulässig sein. Die Versicherungen müssen zahlen.

Vergleichsangebote


Vergleichsangebote von Versicherungen von 10-15% der versicherten Summe (in hier bekannten Beispielen 1.500 €) sind daher nicht zu empfehlen. Natürlich muss jeder für sich abwägen, ob er das finanzielle Risiko einer Klage auf sich nehmen möchte oder lieber das schnelle und sichere Geld in Anspruch nimmt. Vergleiche heißen aber auch, dass später keine Nachforderungen mehr gestellt werden können. Hier ist bei der Formulierung, wenn man das Angebot annehmen möchte, darauf zu achten dass für künftige Pandemie-Wellen kein Ausschluss besteht. Die Erfolgschancen sind insbesondere durch die Entscheidung Mannheim nicht schlecht. Und: Glauben Sie ernsthaft, die Versicherungen würden freiwillige Zahlungen anbieten, wenn die Verträge wasserdicht wären?

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